Open World oder doch nur Schlauchlevel?Nach ca. 1115 km auf der Carretera Austral und immer noch nicht am offiziellen Ende in Villa O'Higgins, trotzdem ein paar Worte zu einer der angeblich schönsten Straßen der Welt.
Auf der einen Seite Open World mit fantastischen, gigantischen Landschaften in allen möglichen Farben. Berge, Gletscher, Seen, Flüsse, Täler, Wälder, Wiesen, Felder und Fjorde. Die Vielfalt ist unerschöpflich und erschlägt einen nahezu. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten in den vielen Nationalparks zu wandern (von einigen Stunden bis hin zu mehreren Tagen) und dies alles ohne die Hülle aus Metall zu erleben. Auf der anderen Seite Schlauchlevel. Entlang der Straße ziehen sich fast durchgängig tausende Kilometer Zaun. Es ist in weiten Teilen fast unmöglich mal links oder rechts der Straße zu erkunden. Wenn man überhaupt von R7 kommt, endet man meist immer an einem verschlossenen Tor oder Schlagbaum: alles Propriedad Privada! Die wenigen frei zugänglichen Stellplätze sind daher oft recht voll oder, wie immer, vermüllt und zugeschxxxxx. In naher Zukunft wird es die wohl auch nicht mehr geben. Insgesamt ist das etwa so, als wenn man bei FarCry nur auf den Straßen fahren dürfte (... und ohne die Ballerei natürlich!)... Für mich war die Carretera Austral immer ein Synonym für Abenteuer. Aber für diese Erfahrung bin ich wohl einige Jahre zu spät. Im Norden ist bereits fast durchgehend asphaltiert, entsprechend rasen die vielen Mietwagen, weiter südlich reiht sich Baustelle an Baustelle und nur im tiefen Süden gibt es noch die typischen Schotterpisten. Diese, wenn auch oft nervig, machen aber irgendwie den Charme der Ruta 7 aus. In eine solche wilde Landschaft passt einfach keine breite Asphaltpiste. In zwei bis drei Jahren wird die komplette Route asphaltiert sein. Damit wird der Zugang natürlich weiter erleichtert und noch mehr Touristen angezogen. Dann kann auch die Geldmaschine einen Gang höher schalten: noch mehr Cabañas, mehr Infrastruktur, mehr Müll, mehr Verkehr, mehr Touranbieter, mehr Zäune usw. usw. In Puerto Río Tranquilo z.B., gab es vor fünf Jahren nur drei Touranbieter von Bootsfahrten zu den Marmorfelsen. Jetzt sind es ca. 15, d.h. von morgens bis abends fahren Motorboote zu diesen Felsen. Die Boote stehen Schlange, um an die Felsen zu kommen. Eine Regulation von staatllicher Seite gibt es nicht. Jeder kann hier versuchen sein Geld zu machen. So wird auch die Carretera Austral in den kommenden Jahren kommerziell ausgeschlachtet, bis von dem, was sie mal war, nicht mehr viel übrig ist. Also ab nach Chile und auf die Carretera Austral, bevor sie die letzten Reste von Abenteuer und Authentizität ausgehaucht hat... P.S. Die R7 ist teuer! Der Sprit kostet ca. 20 bis 35 Cent mehr als im Rest des Landes. Die Preise in den Supermärkten oder den kleinen Dorfläden sind sehr hoch. Die Auswahl an frischen Lebensmitteln ist sehr begrenzt. Restaurants und Cafés schlagen auch ordentlich zu. Man findet eher einen Topf mit Gold am Ende eines Regenbogens, als hier einen guten Kaffee. Selbst im Restaurant wird einem häufig ein Tasse heißes Wasser serviert und dazu die Dose mit löslichem Kaffee, für 2,30€ versteht sich... Auch in den Nationalparks muss häufig eine Eintrittsgebühr gezahlt werden. Ausländische Touristen zahlen das Doppelte. Der Aufstieg zum Mirador Laguna Cerro Castillo z.B. kostete schlappe 21€. Für diese Gebühren sollte man dann aber auch nicht allzuviel erwarten: für die 9,40€ am Ventisquero Colgante bekommt man eine dreistündige Wandertour mit Blick auf die weit entfernten kläglichen Reste eines Gletschers und sanitäre Einrichtungen, die vor 20 Jahren vielleicht mal funktioniert haben und sauber waren. Wohin das Geld geht, ist unklar... Es ist nicht so einfach in den Orten schnelles oder überhaupt Internet zu finden (daher auch die verspäteten Einträge). Highlights...Hiermit, lieber Kai, komme ich deiner netten Aufforderung "Blog mal wieder!" nach. Da in den letzten Tagen nicht soooo viel passiert ist, werde ich jetzt nur mal ein paar Highlights der letzten zwei Wochen rauspicken. Highlight #1 - Silvester und Neujahr nicht allein verbracht Im letzten Blog ja schon angedeutet, war die Kontaktaufnahme mit Rocio und Daniel in Pelluhe etwas schwierig, klappte durch eine Verkettung von Zufällen aber dennoch. Nach einer überaus herzlichen Begrüßung und Rundgang über ihr Grundstück mit Meerblick und Cabaña-Vermietung, wurde ich gezwungen über Silvester und Neujahr zu bleiben. Ohne mich in irgendeiner Weise zu wehren habe ich natürlich begeistert zugestimmt. Man mag zwar den Eindruck bekommen, dass ich gerne alleine bin, was auch nicht verkehrt ist, aber irgendwann ist dann auch mal genug. Silvester war sehr entspannt. Eltern, Geschwister, Tanten, Cousinen, Neffen, Onkel, Kinder haben sich alle zum Grillen getroffen. Viele Salate, zwei riesige Rinderfilets (jeweils ca. 60 bis 70cm lang), die über drei Stunden hinweg langsam gegart wurden, und erstaunlich wenig Alkohol sind vertilgt worden. Da privates Feuerwerk wegen der vorhergegangenen Unruhen verboten war, sind wir kurz vor 24 Uhr zum Strand gefahren, um das von der Gemeinde offiziell organisierte Feuerwerk zu sehen. Im Gegensatz zu den kriegsähnlichen Zuständen in Deutschlands Städten, war es herrlich ruhig auf den Straßen. Keine Böllerei, frische Luft und eine Idioten, die anderen die Böller vor die Füße schmeißen... Neujahr habe ich überwiegend mit Rocios Familie verbracht. Wir haben gemeinsam gekocht und viel erzählt. Mein Hirn hatte einen absoluten Spanisch-Overload... Nach dreineinhalb Tagen, die wie im Fluge vergingen, bin ich ab auf die Straße und wieder allein allein... Highlight #2 - Stellplatz WWW Wald, Wiese, Wasserfall. Auf dem Weg von Pelluhue war eindeutig zu spüren, dass die Ferien begonnen hatten. Die Straßen voll, anstehen an den wenigen Tankstellen und z.T. volle Stellplätze. Auf Empfehlung von Rocio und Daniel hatte ich mich auf den Weg in den Conguillio-NP gemacht. Wenige Kilometer vor dem Eingang in den Park ist bei iOverlander ein Stellplatz markiert. Nach kurzer Fahrt durch den Wald kommt man dort unverhofft auf eine große Lichtung mit vielen Möglichkeiten das Auto zu parken. Die ganze Wiese ein Blumenmeer, nur wenige Meter entfernt ein sauberer Bach, der sich in einen ca. 6 Meter hohen Wasserfall ergießt, und große Bäume, unter denen man schattig parken kann. Absolut genial! Zur Krönung haben mich am Abend noch hunderte Glühwürmchen besucht. Die Fahrt in den Conguillio-NP am nächsten Tag habe ich aber abgebrochen, da ich mich in einer 7km langen Warteschlange am Eingang wiederfand... Also wieder zurück zur Ruta 5 und auf dem Weg noch einen weiteren Traumplatz mit Vulkanblick entdeckt. Highlight #3 - Quatschen mit Juan In Puerto Montt ist der Laubfrosch bei Toyota zum Ölwechsel und Abschmieren gewesen. In der Zwischenzeit bin ich etwas durch den Ort gelaufen und bin schließlich bei Juan im Café in einem Replikat eines alten Fischerhauses gelandet. Nach eineinhalb Stunden mit interessanten Gesprächen über u.a. Umwelt, Nachhaltigkeit, Kapitalismus, Kommerz, Bildung, Klimawandel bin ich wieder los, den Wagen abholen. Highlight #4 - Ibe und Tim Am Playa Santa Barbara nördlich von Chaitén habe ich Ibe und Tim aus Belgien getroffen. Nach gemeinsamen Frühstück sind wir zusammen zum Volcano Chaitén aufgestiegen. Eine kurze aber anstrengende Wanderung zum 2008 unerwartet ausgebrochenen Vulkan. Chaitén wurde z.T. zerstört und später wieder aufgebaut. Am Abend haben wir gemeinsam gekocht und bis weit nach Sonnenuntergang erzählt. Am nächsten Morgen, es regnete endlich mal nicht, haben Tim und ich am Strand ein kleines Workout durchgezogen. Blick aufs Meer, Delfine, Robben und Burpees. Danach ab ins Wasser und 12 Eier in die Pfanne. So kann ein Tag beginnen. Highlight #5 - Forelle und Feuer am Bach Gestern parke ich den LF direkt am Ufer eines Flusses mitten im dunklen Märchenwald. Überall liegen entwurzelte Bäume im weißen Sand. Hier ein Lagerfeuer und einen frischen Fisch auf den Grill, so meine Phantasie. Und siehe da, taucht doch aus dem Wald ein Franzose auf und schenkt mir eine frisch gefangene Forelle, fertig ausgenommen. Die liegt keine 20min später auf dem Grill und das Feuer brennt bis spät in die Nacht. An dieser Stelle ein nicht ganz ernst gemeinter Musiktipp: "Ein kleiner Franzose" (von Johann König) Ein kleiner Franzose vergiftet seinen Wein. Dann lädt er Kollegen und Freunde zu sich ein. Sie alle müssen sterben und wer war schuld daran? Ja der kleine Franzose im Zyankaliwahn. Ein kleiner Franzose verprügelt seine Frau. Er schlägt sie seit Jahren rot, grün und blau. Da springt sie aus dem Hochhaus und wer ist schuld daran? Ja der kleine Franzose in seinem Prügelwahn. Ein kleiner Franzose ist schließlich auf der Flucht. Er wird allenthalben steckbrieflich gesucht. Er fährt mit seinem Wagen gegen einen Pfeiler aus Beton. Ja der kleine Franzose...das hat er nun davon! Highlight #6 - Kaltes Wasser
Endlich ist das Wasser in Flüssen, Seen und Meer wieder so kalt, dass einem die Hoden direkt wieder in die Bauchhöhle schnalzen. Positiver Nebeneffekt: Es passen jetzt eine handvoll Murmeln in den Sack und der Dreck fällt von allein vom gesamten Körper ab. Der zieht sich nämlich vor Kälte so schnell zusammen, dass die Dreckpelle aufgrund ihrer Trägheit nicht hinterher kommt und zu Boden fällt oder schimmernd davonschwimmt. Ein so überwältigendes Erlebnis, dass einem die Freudenschreie vor Atemnot im Hals stecken bleiben. Wie kann man nur sooooo dumm sein...Wer keine Lust hat auf meine ewige Meckerei, muss bis zum nächsten Eintrag warten. Aber ich muss mich u.a. nochmal über das leidige Thema Müll auskotzen... Ich kann momentan mit niemandem darüber reden, also muss ich es schriftlich loswerden. Bisher ist Chile von allen besuchten Ländern das sauberste. Es erinnert vieles an die USA oder Kanada. Viel weites Weideland und Felder. Landschaftlich insgesamt schön, aber extrem langweilig. V.a. nachdem Peru und Bolivien täglich mit Superlativen verwöhnt haben. Dazu kommen Zäune, Tore, Ketten, Schlagbäume, 'Propriedad Privada' und 'Prohibido Entrar'. Also nicht besonders einladend, wenn man einfach mal einen Platz zum Übernachten braucht. Findet man einen, dann ist leider alles vermüllt. Der letzte Platz lag idyllisch an einem Bach, gemähte Wiese, Büsche und Bäume die Schatten spenden, viele Stellmöglichkeiten, ca. 10 gemauerte Grillplätze. Alles von der Gemeinde angelegt und kostenlos nutzbar!!! Aber es sieht aus wie Sau... Keiner der Grillplätze ist nutzbar, weil bis oben hin mit Müll zugestellt. An den Bäumstämmen lehnen fein gestapelte Berge aus leeren Flaschen und Dosen. Es ist alles zugeschissen, überall Klopapier, Binden, Tampons, Kondome, Windeln, alte Kühlboxen usw. Unbegreiflich! Was ist daran so schwer, seinen Müll einfach wieder mitzunehmen? Keine Rücksicht! Die fehlt auch, wenn die Locals Party machen. Da wird bis morgens um drei die Anlage voll aufgedreht, egal ob nebenan eine Familie campt. An dieser Stelle wurde ich beim Schreiben unterbrochen. Ich bin nämlich mit dem Besitzer des Cafés, in dem ich die obigen Zeilen geschrieben habe, ins Gespräch gekommen. Nach ca. 1,5 Stunden war ich etwas schlauer, denn ich habe ihn genau darauf angesprochen. Laut Juan gibt es zwei Gründe. Erstens besuchen häufig sozial schlechter gestellte Familien/ Gruppen die kostenfreien Campingplätze und denen fehlt oft die Bildung und somit auch Umweltbewusstsein. Da haben wir es wieder, Bildung ist der Schlüssel! An zweiter Stelle kommt ein Punkt, der in Columbien mit Wouter schon zum Leitspruch wurde: "They just don't care!" oder wie Juan es ausdrückte "They just don't give a shit!" Er meinte, dass in Chile bei vielen Menschen eine "ein anderer wird das schon machen" - Mentalität herrscht. Also raus den Müll, die Gemeinde wird sich drum kümmern. Heute morgen perfekte Beweisführung. Folgende Situation: Man stelle sich eine Fläche von ca. 2 bis 3 Fußballfeldern vor. Eingerahmt von einem kleinen Fluss und dem Meer. Auf dieser Fläche steht am Rand EIN Auto, meins. Um halb sieben kommt eine Autoladung ChilenerInnen an, parkt ZEHN Meter neben mir, öffnet alle Türen und dreht die Musik auf Anschlag. Dazu das Geräusch leerer Bierdosen, die auf den Boden fallen, und gelegentliche Freudenschreie. Fazit: "They just don't give a shit!" Meiner wachsenden Soziophobie oder besser Anthrophobie nicht gerade zuträglich.... (Jörg, ab August gibt es viel zu tun! Frag beim Amt schon mal nach einer Gehaltserhöhung.) Da ich im Moment kaum zum Schreiben komme, wenigstens der Hinweis auf eine neue Kategorie der Reiseberichterstattung in Bildern. Bitte klicken! |
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Juni 2024
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